"Viel hilft viel" – Wie beweglich sind Westfalens Kinder überhaupt?

Westfalen bewegt seine Kinder – aber wie beweglich sind Westfalens Kinder überhaupt? Einer, der das wissen muss, ist Matthias Kohl. Der Referatsleiter Kinder- und Jugendsportentwicklung beim Landessportbund ist mitverantwortlich für das Landesprogramm „NRW bewegt seine KINDER“. Im Interview spricht er auch über die Idealformel "3 plus 2 plus x".

12.000 Sportvereine in NRW haben Angebote für Kinder und Jugendliche. Für diese Vereine gibt es das Programm „NRW bewegt seine KINDER!“. Motoren der Umsetzung sind die Fachkräfte bei den Bünden und Verbänden. Zur Halbzeit der Umsetzungsphase 2015 – 2020 die Frage: Wie „bewegt“ sind unsere Kinder?

Matthias Kohl: Vieles dazu ist veröffentlicht, es gibt kein Erkenntnisdefizit und es gibt auch keinen Grund nur Schwarz zu sehen á la „Die Kinder können nicht mehr …“. Fakt ist, dass die motorischen Entwicklungsstände stark variieren, wie zum Beispiel der Motoriktest MT 1 bei Kindern des 2. Schuljahres im Rahmen des Pilotprojekts „KommSport“ wieder zeigt. Aber das Messen allein hilft nicht weiter. Daraus entsteht die Aufgabe, motivierende Zugänge, Angebote und Förderstrategien zu finden - für die motorisch fitten genauso wie für die Kinder mit noch geringen Bewegungserfahrungen. Denn eine Erkenntnis aus dem Testen und Messen ist klar, je mehr und je vielfältiger sich die Kinder bewegen, umso besser sind ihre Ergebnisse. Es gilt das einfache Rezept „viel hilft viel“. Aufgefordert sind hier alle, das staatliche Bildungssystem mit Kita und Schule, die Sportvereine und natürlich auch die Familien. Gemeinsam sind sie dafür verantwortlich, dass Kinder dauerhaft Spaß an Bewegung und Sport finden und sich regelmäßig bewegen. In jeder Stadt und Gemeinde in NRW.

Wie kann das gelingen?

Kohl: Indem sich keiner hinter dem anderen versteckt. Kitas müssen sich fragen, wie „bewegt“ sie sind. Schulen müssen sich um die vollständige Erteilung des Sportunterrichts kümmern, sie müssen Sportangebote in ihren Ganztag integrieren und sollten mit den örtlichen Sportvereinen kooperieren. Sportvereine können sich fragen, welche Kinder sie erreichen, so gibt es aktuell z. B. nur ca. 3.500 Sportvereine in NRW mit Angeboten für Kinder bis 6 Jahre. Sie können sich aber auch fragen, was sie mit den Kindern und Jugendlichen machen, die nicht auf Dauer im Wettkampsport gebunden sind. Und Eltern sollten darüber nachdenken, wie „bewegt“ ihr Familienleben ist und ob sie selbst Bewegungsvorbilder sind. Wenn man das so entstehende Geflecht sieht, ist es klar, dass ein kommunales Netzwerkmanagement für den Kinder- und Jugendsport wichtig ist, auch eine Erkenntnis aus der Arbeit im Programm NRW bewegt seine KINDER!.

Den Vereinen kommt in diesem Gesamtsystem eine wichtige Rolle zu, wie können sie sich positionieren?

Kohl: Die Sportvereine können selbstbewusst auf ihre eigenen Leistungen schauen. Neben dem „Markenkern“ – regelmäßige Trainingszeit und Teilnahme an Wettkämpfen – gibt es weitere, vielfältige Bewegungs-, Spiel- und Sportangebote, Erprobungs- und Einsatzmöglichkeiten für junges Engagement, interkulturelle Aktivitäten oder Vereinsfahrten und -feiern. Zentral für die Positionierung ist es, die eigenen Angebote der sportlichen und außersportlichen Kinder- und Jugendarbeit zu sichern und für bestimmte Gruppen, wie beispielsweise sozial benachteiligte Kinder, kleine Kinder, Mädchen oder Jungen, Kinder ohne Interesse an Wettkämpfen zu profilieren. Ausgehend von einer eigenen starken Aufstellung geht es dann um die Positionierung im lokalen Netzwerk. Der Verein existiert in einer realen Gesellschaft und wird auch mit den Erwartungen der Gesellschaft konfrontiert. Das geschieht zum Beispiel durch Eltern, lokale Institutionen wie Kita und Schule oder durch die örtliche Politik und Verwaltung. Für Kitas und Schulen sind sie ein immer wichtiger werdender Partner. Sie führen bereits die Hälfte der Sportangebote im schulischen Ganztag durch, sind Kooperationspartner von Bewegungskindergärten oder bieten Schulen mit Sporthelferausbildung Einsatzmöglichkeiten. Im Programm NRW bewegt seine KINDER! zeigt sich: Engagierte Vereine im Kinder- und Jugendsport haben zunehmend auch ein klares Kooperationsprofil.

Welche Hilfen gibt es auf diesem Weg für die Vereine?

Kohl: Erste Anlaufstelle für FLVW-Vereine, die sich im Kinder- und Jugendsport auf den Weg machen möchten, ist Astrid Kraning – Fachkraft im Programm NRW bsK!. Darüber hinaus gehören die in den Stadt- und Kreissportbünden tätigen Fachkräfte des Programms NRW bsK! und die Fachkräfte Jugendarbeit zum Expertennetzwerk des Kinder- und Jugendsports. Auf beiden Schienen werden die Vereinsvertreter/-innen bedarfsorientiert informiert, beraten und mit zahlreichen Unterstützungsleistungen für eine gezielte Kinder- und Jugendsportentwicklung versorgt. Beispielsweise unterstützt der FLVW die Vereine bei der Anbahnung von Kooperationen mit Schulen mit praktischen Hilfen wie Musterverträgen oder Wettkampf- und Qualifizierungsformaten. Im Projekt „Vereinsentwicklung 2020“ erprobt die Sportjugend NRW gerade ein innovatives Arbeitsmaterial. Unter dem Motto „Zeig dein Profil!“ sind die Vereine aufgerufen, ihr eigenes Profil in der Kinder- und Jugendarbeit zu analysieren, zur öffentlichen Darstellung zu bringen und gemeinsam mit den Fachkräften weiterzuentwickeln. 2017 sind 15 Bünde und Verbände und über 100 Vereine dabei. 2018 soll das Projekt ausgeweitet werden. Da freuen wir uns über weitere Partner bei den Bünden und Verbänden und auf noch mehr Vereine, die ihr Profil in der Kinder- und Jugendarbeit bewusst gestalten wollen.